Mythen im Gleitschirmsport – Das Tuch des Leichtschirm
Mythen sind übriggebliebene “Fakten” aus veraltetem Wissen. Sie waren unter Umständen einmal Stand der Dinge, aber sie haben heute nicht länger Bestand und werden dann auch nicht wahrer, wenn man sich an ihnen festhält und sie eifrig weiter erzählt. So in diesem Artikel den Leichtschirm.
Unser heutiger Mythos ist ein ganz besonders interessanter:
„Ein Leichtschirm hält nicht so lange wie ein normaler, schwerer Schirm“
Diese immer noch viel verbreitete Meinung kann man seit ein paar Jahren so nicht mehr gelten lassen. Inzwischen ist das Gegenteil der Fall. Die modernen Leichttücher von Porcher und Domenico sind „double coated“ innen und außen beschichtet. Sie sind in punkto Porosität jetzt schon widerstandsfähiger, langlebiger als das Gro der schwereren Tücher von den selben Herstellern.
Die modernen, hochwertigen Leichttücher haben bei Checks markant bessere Tuchwerte als normale oder auch hochwertige Gleitschirme der renomierten Marken. Dabei sind Flugstunden, UV-Belastung, Abrieb durch Bodenkontakte, Luftströmung und Walkvorgänge gleichzusetzen. Dies können wir anhand von hunderten bei uns gecheckten Geräten mit archivierten Protokollen statistisch einwandfrei nachweisen. Herausragend ist hierbei das 32g Skytex „water repellant“ von Porcher. Im Idealfall ist dieses Material an der Vorderkante des Obersegels von sehr leichten Flügeln oder am kompletten Obersegel von Semi-Leichtgewichts-Flügeln verbaut.
Auch das D10 „ longlive“ von Domenico hinterlässt bisher einen guten Eindruck bei unseren Checks.
Gutes Hightech-Material mit viel feineren und dichteren Fäden pro Millimeter und Doppelbeschichtung ist teurer. Dies ist wohl auch ein Grund, weshalb ein Leichtschirm mehr kostet als ihr normales Pendant. Zudem entstehen höhere Zulassungskosten pro Stück, da derzeit noch mehr normale, also schwere Geräte gekauft werden. Die Hersteller müssen bis zu 1,5 Jahre vordisponieren bei der Tuchorder damit es nicht zu Engpässen in der Produktion kommt. Das gelingt nicht allen Brands.
Dies könnte ein Grund sein, weshalb das schwerere Tuch für besser erklärt wird, bis dann später doch die Leichtversion des Gerätes erfolgreich eingeführt wird.
Meine Aussage zur Langlebigkeit eines Leichtschirms gilt aber noch nicht für alle Leichtgeräte. Zwischen hochwertigem Tuch, wie es z.B beim Gin Gliders Yeti 4 ab 2011, beim Makalu light und den neuen leichten U-Turns Eternety und U-Turn Annapurna oder Skyman-Geräten verwendet wird und älteren Leichttüchern liegt sage und schreibe der Faktor 10 oder mehr bei den Porositätsmessungen. Das gleiche gilt leider auch bei neuen und etwas billigeren Leichttüchern. Dies ist ein wahrhaft enormer Unterschied. Deshalb sollte man gerade bei Leichtschirmen genau recherchieren ob das Material doppelt beschichtet ist. Nur so hat man lange Freude an seinem Schirm. Der Materialmix kann ganz einfach in den Stücklisten der Betriebsanleitungen nachgelesen werden.
Einzig die Weiterreißfestigkeit ist bei den schwereren Tüchern besser. Beim kraftbetonten Fehlstart, bei dem man möglicherweise mit den Leinen irgendwo grob einhängt, reißt beim Ultraleichtschirm eher mal ein Aufhängepunkt entlang der Naht auf. Dies wird aber gut dadurch kompensiert, dass sich Leichtgeräte besonders mühelos ohne viel Kraft und Schwung bei unterschiedlichsten Windbedingungen aufziehen und starten lassen.
“Ein Leichtschirm leihert schneller aus und hat eine hohe Dehnungsfähigkeit”
Aber auch dies ist bei der modernen Leichtkonstruktion nicht der Fall.
Das wegen Dehnung und dadurch schnell und deutlich verschlechtertem Startverhalten negativ aufgefallene Galvenor Tuch ist zugleich auch das schwerste. Es ist heute auf dem Markt weitestgehend verschwunden. Bezüglich Profiltreue ist wichtig, das die Zellwände aus dehnungsarmem Material gefertigt sind. Die UV- und Abriebresistenz ist hierbei nebensächlich weil die Zellwände innen geschützt liegen. Beim Yeti z.B. wird hier als logische Konsequenz das extrasteife 32 g und 27 g „hard finish“ von Porcher eingebaut. Man kann die Unterschiede durch am Tuch ziehen selbst mit den Händen fühlen.
Das Leinenmaterial ist bei den Leichtschirmen entweder gleich (z.B. U-Turn Crossrock) oder oft im oberen Stockwerk dünner gewählt (z.B. Yeti, Makalu light). Beim manchen Modellen ist es sogar noch dünner und mantellos ( z.B. Ozone Ultralight). Die Tragegurte sind ebenfalls stets gewichtsparend und filigraner ausgeführt. Beides hat aber kaum Einfluss auf die Haltbarkeit. Die Leichtgeräte sind wegen den schlafferen Tragegurte und weniger Farben in der Leinenebenen etwas anspruchsvoller beim Leinensortieren und der Startvorbereitung bei Nullwind. Der Startvorgang selbst ist jedoch einfacher. Alle Vor- und Nachteile aus der Praxis der Leichtgeräte sind ein eigenes Thema das hier demnächst noch behandelt wird.
Um unsere Überzeugung pro Leichtgerät praktisch zu untermauern verwenden wir in den Ausbildungskursen bei der OASE Flugschule auch Kategorie-A Leichtgeräte im täglichen Gebrauch. Besonders den etwas zierlicheren, weiblichen Flugschülerinnen gefällt dies besonders und wird den Spaß am Lernen bestimmt maximieren!
Peter Geg ,
OASE Flugschule